Monodie: Antikes Vorbild und Sologesang im 16. Jahrhundert

Monodie: Antikes Vorbild und Sologesang im 16. Jahrhundert
Monodie: Antikes Vorbild und Sologesang im 16. Jahrhundert
 
Im Zuge der von den Humanisten geforderten Rückbesinnung auf antike Vorbilder wurde am Ende des 16. Jahrhunderts der Begriff »Monodie« von der italienischen Musiktheorie aufgegriffen und für eine neue Musikanschauung nutzbar gemacht. Nach der »Poetik« des Aristoteles galt der monodische Gesang in der Antike als Domäne des Schauspielers im Drama, besonders in den Klageszenen. Nach Auffassung der Griechen nämlich war vor allem die Musik in der Lage, Gefühlssituationen zu verstärken. Dass auch außerhalb des Theaters monodische Gesänge üblich waren, belegt eine Stelle aus Platons »Nomoi«. Als ein Vorzug der Monodie gegenüber dem mehrstimmigen Chorgesang wurde von den Musiktheoretikern des ausgehenden 16. Jahrhunderts die bessere Textverständlichkeit gesehen. So konnte die Musik leichter dem Textinhalt folgen und sich den darzustellenden Affekten anpassen. Der einflussreiche Theoretiker Gioseffo Zarlino sah 1558 (»Le Istitutioni harmoniche«) in Plutarchs »De Musica« den Beweis dafür, dass in der Antike Musiker und Dichter identisch waren, woraus er letztlich auf eine gegenüber der zeitgenössischen Musik stärkere Einheit von Text und Musik schloss.
 
Dieser Gedanke Zarlinos wurde in den 1570er- und 1580er-Jahren vor allem in der Florentiner Camerata, einer privaten Akademie im Hause von Giovanni Bardi de'Conti di Vernio, diskutiert und weiterentwickelt. Eines der Mitglieder war der Schüler Zarlinos und Vater des berühmten Physikers Galileo Galilei, Vincenzo Galilei. In seiner Schrift »Dialogo della musica antica et della moderna« übte er Kritik an einigen Punkten der Lehre Zarlinos, dessen Musiktheorie noch ausschließlich am traditionellen Kontrapunkt orientiert war. Er erkannte zudem, dass die bisher angenommene Gleichsetzung der griechischen Tonarten mit den Kirchentonarten nicht gerechtfertigt war. Angeregt von Girolamo Mei, mit dem Galilei in reger Korrespondenz stand, schien ihm die Verstärkung des Affektes durch die Musik nur im einstimmigen Singen möglich. Die mehrstimmige, polyphone Vokalmusik, wie sie im 16. Jahrhundert gepflegt wurde, erschwere durch die Unabhängigkeit der einzelnen Stimmen das Verständnis des Textes, dessen Deklamation ihm ohnehin zu sehr vernachlässigt schien. Außerdem wandte er sich voller Ironie gegen die Versuche, die Bedeutung einzelner Worte durch scheinbar passende musikalische Figuren nachzubilden. Beinahe das gesamte tradierte Regelwerk des Kontrapunkts wurde durch seine Schriften infrage gestellt; vor allem der von ihm geforderte freie Gebrauch von Dissonanzen, die nun eben nicht mehr durch die Stimmführung, sondern allein durch den Text gerechtfertigt werden mussten, und der verstärkte Gebrauch von affektgebundener Chromatik lassen Galilei heute als einen der Wegbereiter der Monodie erscheinen.
 
Für den endgültigen Siegeszug der Monodie war die Theatermusik entscheidend. Einer der Pioniere des neuen, primär vom Text geprägten Stils war der ebenfalls in Florenz wirkende Iacopo Peri, der bereits 1589 anlässlich der Vermählung des Großherzogs Ferdinand I. de'Medici eine Komposition (»Echo con due risposte«) im neuen rezitativischen Stil vorlegte. Was genau Peri unter diesem »Stile recitativo« verstand, zeigt am besten das Vorwort zu seiner 1600 in Florenz aufgeführten und gedruckten Oper »Le musiche sopra l'Euridice«:
 
»Da ich sah, dass es sich um dramatische Dichtung handelte und dass man deshalb mit dem Gesang einen Sprechenden nachahmen musste (denn ohne Zweifel hat man niemals singend gesprochen), kam ich zu der Auffassung, dass die alten Griechen und Römer (die nach Meinung vieler ganze Tragödien auf der Bühne singend vortrugen) eine Art der Musik kannten, die sich über das gewöhnliche Sprechen erhob und dabei doch so weit unterhalb der Gesangsmelodik blieb, dass sich eine Zwischenform ergab...«
 
Zu denen, die glaubten, die Griechen hätten ganze Dramen auf dem Theater gesungen, gehörte der schon erwähnte Girolamo Mei, der nicht nur in diesem Punkt auf Peris Theorie außerordentlichen Einfluss genommen hatte. Ausgehend von Meis Vorstellung einer durchgehenden, mitunter rhythmisch frei vorgetragenen Bühnenhandlung, hatte Peri seine Theorie des Rezitativs erst entwickeln können.
 
Peri unterschied zwischen diastematischer Bewegung, also einer wie im Gesang intervallisch fortschreitenden Bewegung, und kontinuierlicher Bewegung, die dem Sprachduktus folgend das Sprechen nachahmt, eine Unterscheidung, die auf Aristoxenos von Tarent aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht. Dass es neben diesen Bewegungsmustern noch ein weiteres gibt, welches zwischen Gesang und Prosa steht, hatte vor Peri bereits der römische Philosoph Boethius erkannt: »Wir lesen ein heroisches Gedicht weder in kontinuierlichem Fluss wie Prosa noch in der schwebenden, langsameren Art des Stimmgebrauchs wie beim Gesang.« Für die Intonation des Italienischen konnte Peri nach ausgiebigen Studien feststellen, dass nicht nur das Sprechtempo, sondern auch die Gewichtung der Vokale variiert, was zu unterschiedlichen Intonationskurven führt. Die gesprochene Sprache benutzt — seinen Untersuchungen zufolge — eben nicht nur die »kontinuierliche« Bewegungsart. Diese Diskontinuität stehe in Abhängigkeit vom Gemütszustand des Sprechers und vom zugrunde liegenden Affekt. Um diese beim Sprechakt beobachteten Variabeln musikalisch umzusetzen, unterschied Peri zwischen im Verhältnis zum Bass konsonanten und dissonanten Tönen: Diejenigen Vokale, die beim Sprechen durch stärkeres Beharren auf dem Stimmton akzentuiert werden, bedürfen der Konsonanz. Die übrigen, rasch gesprochenen Silben lassen sich unabhängig von der Bewegung des Basses entweder konsonant oder dissonant führen. Die daraus resultierenden Dissonanzen seien für das Ohr wenig beschwerlich, da der Bass — anders als in den bis zu diesem Zeitpunkt verwendeten Rezitativen — liegen bleibt und nicht wiederholt wird. Der Musiker müsse zudem stets den im Text zum Ausdruck kommenden Affekt beachten, denn auch der Sprechakt zeige, dass die Deklamation bei freudig erregten Texten anders ausfalle als bei sorgenvollen.
 
Wenngleich Peri in seiner Rezitativtheorie nicht eigens darauf einging, führte er bei seiner Oper noch einige weitere Neuerungen ein, die zuvor von Vincenzo Galilei eingefordert worden waren. So sollte sich der monodische Gesang auf einen kleinen Tonumfang beschränken, da er sonst zu künstlich wirke. Stimmlage und Zeitmaße der Komposition sollten durch die Affekte bestimmt werden. Wie bewusst Peri sich der in der Vorrede zu seiner »Euridice« beschriebenen Neuerungen war, zeigt der Schlussabschnitt, in dem er zwar noch einmal auf den Bezug zur Musik der Antike hinweist, zugleich aber über die Notwendigkeiten reflektiert, von den dort vorgegebenen Mustern abzuweichen: »Deswegen also (obwohl ich nicht so kühn bin zu behaupten, dies sei die Vortragsweise gewesen, die man auf den griechischen und römischen Theatern geübt hatte) glaubte ich, es sei diejenige, die man allein aus unserer Musik entwickeln kann, um sie unserer Sprechweise anzupassen.«
 
Dr. Reinmar Emans
 
 
Braun, Werner: Der Stilwandel in der Musik um 1600. Darmstadt 1982.
 
Die Musik in Geschichte und Gegenwart, begründet von Friedrich Blume. Herausgegeben von Ludwig Finscher. Auf 21 Bände berechnet. Kassel u. a. 21994 ff.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Monodie — Mon|o|die auch: Mo|no|die 〈f. 19; Mus.〉 1. 〈urspr.〉 unbegleiteter einstimmiger bzw. Sologesang 2. 〈seit 1600〉 vom Generalbass begleiteter einstimmiger bzw. Sologesang 3. 〈später〉 = Homofonie (1) [<grch. monodia „Einzelgesang“] * * * Mo|n|o|die …   Universal-Lexikon

  • Musik — Töne; Klänge; Tonkunst * * * Mu|sik [mu zi:k], die; , en: 1. <ohne Plural> Kunst, Töne in bestimmter Gesetzmäßigkeit hinsichtlich Rhythmus, Melodie, Harmonie zu einer Gruppe von Klängen und zu einer Komposition zu ordnen: klassische,… …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”